Stefanie Scheurell

Haute Couture – Visuelle Kulturkritik
Dr. Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle, Frankfurt Zur Arbeit Haute Couture – Décollage  

Visuelle Kulturkritik und die
Bildanthropologie des Körperkultes

Ihr künstlerisches Interesse am Zerfall und der Zerstörung des Körpers überträgt Scheurell in ihren neusten Werken der Serie Haute Couture – Häutung auf bestimmte Schönheitsideale und Frauenbilder der Gegenwart. Die Motive stammen aus vorgefundenen und gezielt gesuchten Werbeplakaten von Parfümerien, Modehäusern oder Kosmetikboutiquen. Sie zeigen jeweils Porträts von Models in sinnlichen Posen, die den Blick der Konsumentinnen auf sich ziehen und zum mimetischen Begehren nach den beworbenen Produkten auffordern sollen.
Aus diesen Hochglanzfotografien arbeitet Scheurell Bildausschnitte heraus, indem sie weite Teile der Werkoberfläche detailliert beschneidet und entfernt. Dabei benutzt die Künstlerin Skalpell und Schmirgelpapier, um die künstliche Photoshopschönheit zu sezieren und zu zerstören.
Neben den als Hochrelief bestehen bleibenden Resten der Porträts öffnen sich nach der handwerklichen Bearbeitung aufgeraute weiße Flächen, die die Tiefenschichten unter dem Fotokarton spürbar erkennbar werden lassen. Die so hergestellten Kontraste von Oberfläche und Material erhöht Scheurell durch Klebebandstreifen oder Übermalungen, für die sie die zuvor abgeschmirgelten Farbpigmente auf die freigelegten Flächen aufträgt. Dem Original widerfährt so eine malerische Überarbeitung, wodurch neue inhaltliche Zusammenhänge entstehen und ursprüngliche, teilweise erotische Elemente der Fotografien Betonung oder Verfremdung erfahren.
So wird die Häutung buchstäblicher Teil der Bildbearbeitung, mit der die Künstlerin fotografische Vorbilder von ihrem Bildträger abzieht.
Damit zerstört Scheurell nicht nur die Illusion von makelloser Schönheit, wie sie die Modefotografie als ideales Menschenbild suggeriert – sie unterzieht diese ikonischen Images der Kulturgeschichte der Schönheit auch einem quasi archaischen Strafritual, wie es im Mythos dem Marsyas widerfuhr, weil er zum göttlichen Wettstreit um die schöne Kunst der Musik herausforderte.
Scheurells kulturkritische und ikonoklastische Décollage steht in einer modernen kunsthistorischen Tradition mit den Fotomontagen der Dadaisten, wie bei Hannah Höch, den Nouveaux Réalistes im Paris der 1960er Jahre, unter denen sich Künstler wie Mimmo Rotella und Jacques Villeglé als „Affichisten“ betätigten und Werbeplakate in Stücke rissen, oder auch mit der Bildperforation von Daniele Buetti, der farbige Werbefotografien von Supermodels mit Tattoos bearbeitet und auf Leuchtkästen montiert. Nicht zuletzt ist Scheurells analoge Arbeit vergleichbar mit den Malereien von Elke Krystufek, die konstant das weibliche Selbstbildnis in seiner Körperlichkeit und Verletzlichkeit zum Thema macht.
Dr. Sebastian Baden, Direktor an der Schirn Kunsthalle, Frankfurt